Einleitung

Azra Begic

Trotz widriger Umstände haben zwei junge deutsche Fotografen, Wolfgang Bellwinkel und Peter Maria Schäfer, mit Unterstützung der ifa (Institut für Auslandsbeziehungen, Stuttgart) und der Deutsch Bosnisch Herzegowinischen Gesellschaft, Hamburg, im August dieses Kriegsjahres 1994 eine Ausstellung in der Kunstgalerie Bosniens und Herzegowinas in Sarajevo eröffnet. Sie waren hier nicht nur aufgrund der Perfektion ihrer Arbeit willkommen, sondern vor allem aufgrund des Charakters und des künstlerischen Wertes ihrer Werke.
Beide stellten jeweils vierzig Fotografien zum Thema "Krieg in Bosnien und Herzegowina" aus. Anhand der Bilder wird deutlich, dass es sich um profilierte Persönlichkeiten handelt, die eine Schärfe der Wahrnehmung, Intelligenz und ein tiefes Mitgefühl mit uns, den Opfern der Aggression aus dem Raum Ex-Jugoslawiens zeigen und die Machenschaften und Manipulationen aus den Weltzentren der Macht erkennen.
Peter Maria Schäfer denunziert diese Machtzentren offen, indem er sehr systematisch und scharf in gut durchdachten Themenblöcken die führenden politischen, militärischen und wirtschaftlichen Strukturen der heutigen Welt vorstellt, in ihrem unermüdlichen Wettrennen nach Profit und Macht, dessen Resultate zerbrochene Spielzeugpuppen wie auch unsere massakrierten Körper und Seelen sind, unser vernichtetes und zerstörtes Leben.Die Montage dieser Blöcke von Schäfer ist sehr gelungen und beeindruckt in hohem Masse.
Im Unterschied zu Schäfer entwickelt Wolfgang Bellwinkel seine Erzählung unseres Schicksals unmittelbarer, ich neige sogar dazu zu sagen, poetischer. Die Reihe seiner Sequenzen beginnt nahezu idyllisch: mit der Fotografie eines Schiffes, das über die Adria fährt, blau-rosa, wie auf Kitschpostkarten. Nach und nach werden wir in das Kriegsgeschehen unseres gequälten Landes einbezogen. Da ist die Ansicht von Schafen auf einer Weide mit einem gepanzerten Kampffahrzeug en miniature im Hintergrund als weit entfernte, dumpfe Drohung. Bald darauf die Ruinen unserer Häuser, bis uns das Bild der Moschee in Ahmici erschlägt, einer Moschee, die scheinbar aus Trauer Harakiri begangen hat: durchbohrt vom eigenen Minarett, das einer Weltraumrakete ähnelt. Mit den zwei unerschrockenen Hühnern, die im Bildvordergrund versonnen ihrer Umlaufbahn folgen, gehört dieses Bild in den Bereich des Phantastischen.
Es folgen alltägliche Szenen: Tonnen verfaulter Apfelsinen in West-Mostar, die niemals ihren Bestimmungsort erreichen werden; das Leben der Flüchtlinge in Aufnahmen von endloser Trauer und grossartiger Zartheit; der zerfetzte Leichnam eines jungen Mannes vor einem blutbespritzten Lastwagen der Humanitären Hilfe...
In diesem Kontext wirkt der fehlgeschlagene Versuch einer Feierlichkeit in Ost-Mostar, welche den Eindruck simulierten Vergnügens hinterlässt, nahezu morbid: wir können keine Freude mehr empfinden, anstelle eines Lächelns ruft diese Szene Widerwillen hervor.
Am Ende steht ein dunkles Bild einer kaum erleuchteten, menschenleeren Strasse, auf welcher Blut, unser Blut, fliesst. Ein brutales, pessimistisches Finale nach den rosafarbenen, pastoralen Einführungstakten. Unsere Freunde Bellwinkel und Schäfer haben keinerlei Illusionen. Sie sind sich bewusst, dass die Welt nicht in Ordnung ist und dass die Mächtigen dieser Welt uns ein schweres Schicksal zugedacht haben, indem sie uns das Recht auf Verteidigung nahmen und uns zum ungleichen Kampf verurteilten.
Die beiden Fotografen verstanden zu sehen, vermochten zu erkennen und trauten sich, der Welt ein blutiges Stück Wahhrheit anzubieten. Danke!
Und, last but not least: dies sind die ersten deutschen Künstler, die im besetzten Sarajevo ausstellen, dem Symbol für das Gewissen der Menschheit, und sie machen zweifelsohne ihrem Land und ihrem Berufsstand Ehre.

Azra Begic , Sarajevo August 1994